Eine besondere Freude war mir meine Einzelausstellung im Kulturcafé nebenan in Winsen. Anfang des Jahres übernahm ich die Aufgabe als Kuratorin. Ich trete in große Fußstapfen, denn der Bereich wurde viele Jahre mit viel Herzblut und Engagement von meiner Künstlerkollegin Friederike Witt-Schiedung betreut. Da ich auch ehrenamtlich einige Abendveranstaltungen unterstütze, wurde ich vom Helfer-Team gebeten und überredet doch erst einmal selbst auszustellen. Diesem Wunsch kam ich gern nach und freute mich über zahlreiche Besucher, eine überaus herzliche Atmosphäre und einer wunderbaren Eröffnungsrede meiner lieben Freundin Hilke Langhammer (Historikerin am Bomann-Museum Celle) – diese finden Sie unter den Fotos und dem Presseartikel. Viel Freude beim Lesen und noch einmal herzlichen Dank an alle Gäste, Helfer und dem Team von Kulturcafé nebenan sowie Kirsten Pröve-May und der Celleschen Zeitung. Für die musikalische Begleitung danke ich Antje Überschär (Hannover) und Anne Korder-Pristorius (Bonn).








Sehr geehrte Damen und Herren,
Kein Mensch will doch immer gleich sein und handeln, oder?
Jeder Mensch besteht aus Facetten und will jede von ihnen mal schimmern und glänzen lassen.
Ein phantastisches Motto also für diese Ausstellung mit Werken von Tina Wahren. Denn sie zeigt, wie vielfältig künstlerische Tätigkeit sein kann. Und wie Kunst – wie beim Facettenschliff eines Edelsteins – anregt, sich selbst und die Welt zu reflektieren, zu brechen und vielfarbig aufzuspalten.
Tina kommt 1980 zur Welt und wächst in Naumburg an der Saale auf.
Schon in der Schule entwickelt sie kleine, lustige Figuren mit großen „Gnubbelaugen“, genannt „Gnubbies“, die sie viele Jahre begleiten.
Nach der Schulzeit studiert sie in Merseburg Technische Redaktion mit dem Schwerpunkt Illustration. Diese Kunst ist eigentlich bis heute die Basis ihrer Werke, auch wenn im Studium die Darstellung von Technik im Mittelpunkt steht.
Denn beruflich arbeitet Tina seitdem daran, unser aller Leben etwas einfacher zu machen: sie entwickelt Bedienungsanleitungen, die nicht mehr tausendfach gefaltet und meterlang sind, mit Textwüsten, die uns in den kleinen Wahnsinn treiben, sondern die mit weltweit verständlichen, einfachen Illustrationen jede Inbetriebnahme eines Geräts zum Kinderspiel werden lassen.
Weitere Stationen ihres Lebens sind Leipzig, Fulda, Wolfsburg und Hannover. Schließlich landet sie in Celle, wo sie einige Jahre nebenbei einen kleinen Laden betreibt, in dem sie ihre „Gnubbies“ auf Bildern und Geschenkartikeln verkauft.
Seit 2003 widmet sich Tina wieder der Malerei, arbeitet mit Acrylfarben und verwendet häufig Dinge des Alltags in Mischtechnik. Viele Jahre stehen dabei die Damen im Mittelpunkt:
Gleich am Eingang haben Sie sie gesehen, drei große und mehrere kleine Varianten ihrer „Portraits of a Lady“. Immer wieder abgewandelt, wie Scherenschnitte oder eben auch Facettenschliffe, zeigen diese abstrahierten Porträts starke, selbstbewusste und doch sensible Frauen in unterschiedlichen Kontexten. Die Ladies vereinen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: grafische Elemente im Retro-Stil sind mit dem Ausblick in die Moderne verbunden und zugleich strahlen die entspannten, in sich ruhenden Gesichter ein gelassenes Verweilen im Jetzt aus.
Zur Gelassenheit gesellt sich eleganter Schwung bei den „Ladies en vogue“, schwingend-schwebenden Frauen mit wallenden Kleidern, die sie im Nachbarraum entdecken können. Hier verarbeitet Tina auch schon mal Dinge des Alltags, wie bei der „PC-Lady“, die auf einer Art Platine tanzt und in deren Rock die Tastatur des alten Computers verarbeitet wurde.
Die Facetten-Ladies schließlich, die auch Motiv der Einladung zum heutigen Abend waren, greifen auf, was ich zu Beginn sagte: Jede und jeder vereint in sich viele Charaktereigenschaften, Begabungen, Vorlieben und Abneigungen, die sich dazu in Interaktion mit anderen zu einem farbenprächtigen Kaleidoskop verbinden. Haben Sie schon einmal durch ein Kaleidoskop ins Licht geschaut? So können wir in unserer Vielfalt leuchten!
In den letzten Jahren ist die Malerei in den Hintergrund gerückt. Es stehen nun Plastiken, Skulpturen und Installationen im Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Doppel- und mehrdeutig kommentieren sie augenzwinkernd aktuelles Geschehen, legen den Finger in Wunden oder karikieren gegenwärtige Positionen.
Im Nebenraum finden Sie hinten auf der Staffelei eine Fotocollage mit den jüngsten Werken, die auch immer Teil der BBK-Ausstellungen in der Gotischen Halle im Celler Schloss gewesen sind. Darunter auch „Viral“, eine Installation, die Tina zur besten Corona-Zeit zu meiner Ausstellung „Wi(e)der das Böse“ im Bomann-Museum beisteuerte.
Ein Beispiel dieser Arbeiten sehen sie dort auch: „Rasen, der Stillstand“ war Teil der BBK-Ausstellung „Rasender Stillstand“ in diesem Winter und spielt mit allen Klischees, die sich so landläufig dem deutschen Spießer in seinem Idyll andichten lassen, wo er gemütlich im Schatten sein Feierabendbier trinkt, mit Wohlgefallen über seine weißbesockten Füße hinweg den generalstabsmäßig akkurat geschnittenen Rasen betrachtet, dem Gartenzwerg zuprostet und pünktlich zum Ruf der Kuckucksuhr sein Tagewerk vollendet. Dass das ganz schön „Tote Hose“ sein kann, zeigt die kleine Zeichnung daneben.
Nichts existiert ohne Vergangenheit, oder doch? Das Werk dort hinten greift augenzwinkernd und neu verpackt die uralte und immerwährende Frage auf: Was war zuerst da, TEEei oder TEEhuhn? Alles entwickelt sich (heiter) weiter, die Evolution des Teeeis zum Teehuhn scheint eine logische Konsequenz.
Seit gut zwei Jahren lebt Tina nun in Südwinsen, hat dort mit ihrem Mann ein großes Atelier und war auch schon zwei Mal am Winser Kulturradeln beteiligt. Nutzen Sie im Herbst unbedingt die nächste Gelegenheit, um dort die großen Installationen zu besichtigen!
Dass – quasi nebenbei und als Fingerübung – immer wieder Zeichnungen entstehen, in denen Muster und Linien die Form bestimmen, mag auf den ersten Blick einfach und trivial anmuten. Aber: bei den Papierarbeiten hier auf der langen Wand genau wie bei den farbenfrohen „Lovely Fruits“ nebenan sind Präzision, Augenmaß und Stilsicherheit elementar notwendig. Denn mit minimalistischen Elementen werden Schwingungen und Bewegungen sichtbar gemacht, verblüffend schön, harmonisch und vollkommen.
Blicken Sie zum Schluss gelegentlich einmal hinter sich: Sie werden feststellen:
Sie werden beobachtet!
Und Sie werden eingeladen:
AUGEN AUF! rufen Ihnen die Arbeiten hier und im Nachbarraum zu. Folgen Sie also den Augen an der Wand – und Ihren eigenen durch die Ausstellung. Schauen und sichten Sie, entdecken, betrachten und erkennen Sie die Facetten von Tina Wahren.
Denn: In den Facetten bricht sich verwirrend das Licht und spiegeln sich die Anwesenden“
Bleiben Sie – wie die Künstlerin – neugierig und sammeln Sie Momente.
Vielen Dank
Hilke Langhammer